Kapitel 7.  Baugrube

Eine Woche später saßen die drei ­Müllenbächer wieder mal am Stammtisch, und der Vogt erzählte seinen beiden Freunden hinter vorgehaltener Hand, dass der  Kirchenneubau in ­Müllenbach gesichert sei. Dionys, der Schmied, und Anton, der Wagner, reagierten erstaunt. Damit ­hatten sie nicht gerechnet, dass der Vogt so rasch ­Tatsachen schaffen würde. Dafür ­bewunderten sie ihn. Wenn er etwas machte, dann ­richtig. Doch wie sollte es jetzt weitergehen? Das Grundstück gehörte nun zwar der Gemeinde, doch die Kirche als möglicher ­Bauträger wusste noch gar nichts davon. Die Drei diskutierten hin und her. Vielleicht sollte der Dorfbott das den ­Einwohnern verkünden. Oder man sollte an dem Bauplatz ein Schild aufstellen. Vielleicht, so schlug der Wagner vor, sollte man noch ­weiter gehen:
»Schdelle eich mol vor, wenn derd scho da ­Bouwgrund usghowe wäär. Dann dääde alle sähne, dass derd ä neie Kiach nookomme mueß.« 
»Stellt euch mal vor, wenn dort schon die Baugrube ausgehoben wäre. Dann würden alle sehen, dass dort eine neue Kirche hinkommen muss.«
Das fanden sowohl der Vogt wie auch der Schmied eine gute Idee, und so beschloss man, am Samstag in aller Herrgottsfrühe mit den Knechten auszurücken und dafür zu sorgen, dass die Neugier der Leute geweckt wurde, was denn dort auf dem Baugrund gegenüber der Kapelle passierte. Da brauchten sie kein Schild mehr aufzustellen, das würde sich im Dorf wie ein Lauffeuer verbreiten.Es war noch morgendämmrig, als am ­Samstag zehn gestandene ­Männer mit Schaufeln und Spaten bewaffnet zu dem Grundstück ­gingen, auf dem einmal die Kirche von Müllenbach stehen sollte. Sogar eine Frau war dabei, die jedoch an ihrer Kleidung nicht zu erkennen war. Man hätte sie auch als Mannweib ­bezeichnen ­können, denn von ihrem Körperbau her konnte sie richtig hart arbeiten, eben wie ein Mann. Entschlossen gingen sie zu Werk und gruben in den sanft ansteigenden Hang eine Scharte. Die herausgegrabene Erde wurde mit ­Schubkarren weiter unten abgeladen, so dass ein großer waagerechter Platz entstand. Dafür sorgte der Wagner mit seiner Wasserwaage und einigen Fäden, die er kreuz und quer über das Gelände gespannt hatte. Als die Sankt Wendelinus Glocke neun Uhr schlug, kam die Tochter des Vogtes mit einem großen Korb, in dem sich frisch gestrichene Brote befanden. Am Abend zuvor hatte der Vogt seiner Frau extra aufgetragen, die ­bessere Leberwurst zu verwenden. Schließlich war er seinen Freunden dankbar, wenn sie ihm bei der Aktion ›Die Kirche bleibt im Dorf!‹ halfen. Dass ein Mädchen das Vesper brachte, sollte den Helfern die Arbeit etwas versüßen, denn die 14-jährige Mathilde sah schon recht hübsch aus, war jedoch wie die meisten in ­diesem Alter ziemlich scheu. Ihren Bruder allerdings konnte sie gut herumkommandieren: »Ohh Joggl, jedz komm hald un schdell di ned so oo! Du waisch jo, wie wichdig im Babbaa die Sach hid isch.«
Hinter dem Mädchen trottete etwas unlustig deren zwölfjähriger Bruder mit einem großen Krug voll Most.
»Ach, Maddild, da Gruug isch schu aig schwea. Du hesch joo bloß des lichde Veschba zum draage.« 
»Oh Jockel, jetzt komm halt und stell dich nicht so an! Du weißt ja, wie wichtig dem Papa die Sache heute ist.«»Ach, Mathilde, der Krug ist schon sehr schwer. Du hast ja nur das leichte Vesper zu tragen.«Man merkte ihm an, dass er keine Lust hatte, mit dem Lieblingsgetränk der Handwerker und Knechte durch die Gegend zu laufen. Dennoch schenkte er jedem brav einen Becher voll ein und beantwortete wortreich die Fragen der Männer zu Schule und Berufsplänen.
»Iih will mol da Vogd wärre, wie da Babbaa. Na kooni alle Lidd rumkommandiere, so wie er jedz eich do bim Rumwihrle. Des dääd ma Schbass mache.«
»Ich will mal Vogt werden wie der Papa. Dann kann ich alle Leute herumkommandieren, so wie er jetzt euch beim Rumwühlen. Das würde mir Spaß machen.«
Während des Vespers kam ein Kuhfuhrwerk vorbei und hielt vor der Kapelle an. Das tat jeder Viehbesitzer, denn Sankt ­Wendelinus war der Schutzheilige der Tiere, und es war üblich, dass man zum Kapellentürmchen aufschaute, ein Kreuz schlug und dann ­wieder ­weiterging. Doch bevor der Bauer aus dem Oberdorf ­weiterfuhr mit seinen beiden Kühen und der Ladung Grünfutter, schaute er ­neugierig den Hang hinauf. Was wohl die vielen Leute da oben machten. Anscheinend wurde dort ein Neubau vorbereitet. Was das wohl geben sollte, fragte er sich. Da er aber von der ­weniger neugierigen Sorte Mensch war, trieb er nach einer Weile seine Kühe ­wieder an und fuhr weiter.Bis gegen Mittag waren die zehn Männer und die eine Frau fertig mit ihrem Vorhaben. Sie packten ihr Werkzeug ein, standen noch eine Weile zusammen und waren zufrieden mit der Baugrube. Sie war deutlich sichtbar von der Hauptstraße aus. Ein Stück in den Berg ­getrieben, so als ob ein riesengroßes Schiff in voller Fahrt gegen den Hang gestoßen wäre und einen entsprechenden Abdruck hinterlassen hätte.


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